Vor ein paar Wochen entdeckte ich das Buch “Parkinson’s Diva, a Woman’s Guide to Parkinson’s Disease” (Die Parkinson Diva –  Morbus Parkinson für Frauen erklärt) von Dr. Maria De Leon. Maria lebt in den USA, ist Spezialistin für Bewegungsstörungen und selbst vor zehn Jahren an Parkinson erkrankt. Sie ist der Meinung, dass es höchste Zeit sei, die Erkrankung differenzierter zu betrachten, da sich die Forschung bisher nur auf die Situation von Männern konzentrierte. In der Praxis bemerkte sie, dass Frauen und Männer unterschiedlich auf die Medikamente reagierten und mit ganz eigenen sozialen Herausforderungen kämpften. 
Über diese Frau musste ich einfach mehr erfahren und nahm mit ihr Kontakt auf. Wir führten ein sehr langes und inspirierendes Gespräch und würden wahrscheinlich jetzt noch quatschen, wenn mein Akku nicht gestreikt hätte. (Wenn das nicht typisch Frau ist!)
(Please find English version at end of this post)


Liebe Maria, ich fange mit meiner Standardeinstiegsfrage an: Wie startest du einen ganz normalen Tag?
Es ist mir sehr wichtig, eine tägliche Routine einzuhalten. Da ich morgens Medikamente einnehmen muss, war es nicht so leicht, den passenden Start zu finden. Nach zehn Jahren an Hochs und Tiefs habe ich es endlich geschafft: Ich wache um 6:00 Uhr auf, nehme meine Medikamente ein und warte, bis die Wirkung einsetzt. Das dauert ungefähr eine Stunde. Manchmal schlafe ich wieder ein, manchmal mache ich Dehn-Übungen im Bett. Mein Nacken wird über Nacht oft sehr steif. Es würde nichts bringen, wenn ich sofort aufspringen und mich fertig machen würde. Ich hätte das reinste Chaos unter der Dusche veranstaltet und beim Anziehen .... an Anziehen wäre gar nicht zu denken gewesen!
Ich nehme auch andere Medikamente ein, deshalb muss ich darauf achten, sie erst eine Stunde später zu nehmen, wegen der möglichen Wechselwirkungen mit den Parkinson Medikamenten.

Wann hast du bemerkt, dass du an Morbus Parkinson erkrankt bist? Hast du es zum Beispiel zuerst ignoriert?
Ich habe es erst an meinem Fuß bemerkt. Ich hatte einen Krampf im Zeh und Schmerzen im Knöchelgelenk. Ich ging davon aus, dass die Schmerzen von einer Rücken-OP her rührten, die ich kurz vorher hatte. Ich habe ein paar Tests gemacht, aber ohne eindeutiges Ergebnis. Weißt du, ich war 36 Jahre alt und hatte Schmerzen. Ich dachte: „Das kann nicht Parkinson sein.“  Damals (vor zehn Jahren) zählten Schmerzen nicht zu den ersten Symptomen, die bei Morbus Parkinson aufkommen. Zwei Jahre lang durchlief ich alle möglichen Tests, die zu nichts führten! Meine Freunde und Familie gaben mir Ratschläge, zum Beispiel, dass es sich um eine Depression handeln könnte. Mein Mann nahm sogar an, ich würde mit meinen Patienten sympathisieren. Das war alles sehr frustrierend. Als ich dann merkte, dass ich die Parkinson-Tests (Fingerübungen, Rechenaufgaben) meinen Patienten nicht mehr vormachen konnte, bin ich schließlich zu meiner Freundin gegangen, die auch Neurologin war. Sie sagte nur: „Es ist tatsächlich in deinem Kopf, aber du brauchst Dopamin, um es in Ordnung zu bringen.“ Sobald ich Sinemet (Wirkstoffe: Levodopa und Carbidopa) und Azilect nahm, waren die Schmerzen verschwunden.

Hat sich dein Verhältnis zu deinen Patienten nach der Diagnose geändert?
Ja und nein. Eigentlich bin ich Neurologin geworden, weil ich Parkinson liebe. Das klingt vielleicht etwas seltsam, aber ich mag die Art, wie Parkinson Patient*innen mit ihrer Situation umgehen. Für mich sind sie die liebenswertesten Leute, die ich in meiner Laufbahn als Ärztin getroffen habe. Jetzt, wo ich selber Parkinson habe, kann ich meine Patient*innen viel besser verstehen, selbst in den Bereichen, die ich meinte schon gut zu kennen. Die Nebenwirkungen der Medikamente können einen zum Beispiel extrem auf die Nerven gehen. Und kleine Dinge können eine große Wirkung haben. Zum Beispiel mein zuckender Zeh: Er bringt mich aus dem Gleichgewicht und ich stolpere und falle sogar. Ich kann meine Schuhe nicht mehr tragen! Was mich auch erstaunte war, dass ich genau fühlen konnte, wann die Wirkung der Medikamente einsetzt und aufhört, selbst schon zu Beginn der Behandlung.

Wann hast du bemerkt, dass Frauen anders auf Parkinson reagieren als Männer?
Es ist allgemein bekannt, dass Frauen bei Schlaganfällen oder Migräne anderen Herausforderungen gegenüber stehen als Männer. Warum sollte das nicht auch bei Parkinson der Fall sein? Als Neurologin sah ich tagtäglich viele Patient*innen. Die meisten Männer sagten, dass sie die Nebenwirkungen kaum bemerkten und dass ihnen eher die körperlichen Beschwerden zu schaffen machten. Die Frauen hingegen reagierten mehr auf die emotionalen Nebenwirkungen der Medikamente und tendierten eher dazu, eine Dyskinesie wegen der Überdosierung zu entwickeln. Das bedeutet, dass sie sensibler auf die Medikamente ansprechen. Als Arzt muss man also mehr auf das Individuum und seinen Status im Krankheitsverlauf achten.

Zurzeit entstehen immer mehr Parkinson-Frauengruppen in den USA. Warum?
Ja, es ist tatsächlich eine Bewegung entstanden. Frauen merken, dass ihre Situation mit Parkinson anders ist als bei Männern, also gründen sie Selbsthilfegruppen für Frauen. In Amerika kümmert sich die Frau in erster Linie um die Kindererziehung und damit ist sie schon in einer ganz anderen Situation als Männer mit Parkinson. Außerdem tendieren die Männer dieser Frauen eher dazu, sie irgendwann im Verlauf der Krankheit zu verlassen. In den Selbsthilfegruppen können Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind, Freundschaften miteinander schließen. Sie können sich gegenseitig aufbauen. 

Ich habe noch eine persönliche Frage an dich, wenn es in Ordnung ist: Woher um alles in der Welt nimmst du die viele Energie, die dich antreibt?
Stimmt, ich kann manchmal ganz schön quirlig sein! Was mich antreibt, sind mein fester Glaube und zu wissen, dass ich nicht alleine bin. Ich musste nach der Diagnose meine Situation neu überdenken und mich fragen, was ich nun mit mir anstellen soll. Ich konnte nicht mehr praktizieren, was nun? Hausfrau werden? Ich mag keine Hausarbeit! Also war ich gezwungen, mich neu zu definieren. Dabei war es mir wichtig, nur den "Titel" zu ändern, aber nicht wer ich bin. Ich bin immer noch ich, nur anders. Dieses befreiende Gefühl gibt mir sehr viel Energie.

Meine letzte Frage an dich: Wie erklärst du die Erkrankung jemandem, der noch nie davon gehört hat?
Es gibt immer noch Leute, die sagen: „Oh, du hast Alzheimer.“ Und ich antworte: „Nein, ich habe Parkinson.“ Sie sagen dann: „Also ist es Alzheimer.“ und ich sage: “Nein, es ist Parkinson.“ Diese Unterhaltung könnte endlos weitergehen.

Ich erkläre Parkinson folgendermaßen: Parkinson ist eine Erkrankung des Gehirns. Sie beeinträchtigt die Bewegung, das Denken und das Gedächtnis. Wir können keine kleinen Sachen mehr machen, wie zum Beispiel einen Schlüssel ins Schlüsselloch stecken. Es fehlt Dopamin im Gehirn, das ist eine Substanz, die dich glücklich hält und das Gefühl erzeugt, das entsteht wenn du verliebt bist. 

Mit diesen schönen Worten beenden wir das Interview. Ganz lieben Dank dafür Maria. Wer weiß, vielleicht entstehen auch in Deutschland bald Frauenselbsthilfegruppen.

Links zu den Webseiten von Maria De Leon:
www.defeatparkinsons.com

World Parkinson Congress 2016, member of Communications Committee 


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English language interview notes (please excuse wrong spelling)

 

A couple of weeks ago, I came accross the book “Parkinson’s Diva, a Women’s guide to Parkinson’s Disease”. by Maria De Leon. Maria lives in the US and is movement disorder specialist.She had been diagnosed with Parkinson’s 10 years ago. She believes that now it is time to look at PD through a gender lense, as the social and medical situations of women differ very much from that of men and scientific research concentrated more on the situation of men. I wanted to learn more about this woman and contated her. We had a lovely and inspiring chat and would most probably still be chatting away, if my laptop’s battery had not decided to run low. Now isn't that typical of women!

Dear Maria, let's warm up with my standard question: How do you start a normal day?
Since there are medicines involved, finding out the best way to start my day was a slow process. After 10 years of ups and downs, I have finally gotten there. I wake up at 6:00, take my medicines and wait for them to kick in. This takes about an hour, so sometimes I fall sleep again or I do some stretching in Bed. Especially the neck tends to become very stiff over night. If I just jump up and rush to get ready, I won’t get anywhere: the shower would be a total mess and getting dressed just wouldn’t work out. I also take other medicines, so I wait at least an hour before I can take them. For me it’s very important to keep the same routine every day.

When did you notice that you had PD? Did you ignore it at first?
I noticed it in my foot at first. I had a cramp in my toe and pain in my ankle. I thought the pain came from the back surgery that I had a few months before. I ran through a couple of tests, but with no clear results.  You know, I was 36 years old then and in pain. I thought, “That can`t be Parkinson’s.” At that time pain was not seen to be a typical first symptom with PD. Two years with all those tests led nowhere! My friends and family kept saying different things, most of all that I might be depressed. My husband said I had too much contact with PD patients and was sympathizing with them. Those were frustrating and confusing times. But then I noticed that I actually couldn`t do the finger tests myself, that I did with my patients. In the end I went to a friend, who was a Neurologist. She said to me: “ It’s in your head all right, but you need Dopamin to take care of it.” As soon as I took Sinemet, and Azilect, the pain was gone.

Did your attitude towards your PD patients change after that?
Yes and No. Actually it was the love for Parkinson’s disease that made me become a neurologist. That might sound a bit strange, but I like the way PD patients deal with their condition. They are the nicest bunch of people I have come across during my career as a doctor. Also my grandmother had PD, so I also had a strong personal relation to PD. Having PD myself, let me understand my patients a lot better, even in things I thought I knew. It’s annoying when you have to live with the side effects of the medication. And even small things have a big effect. My twitching toe, for instance, made me fall off balance and trip and fall. I couldn`t wear my shoes any more. Another thing astonished me: I could actually tell when the medication kicked in and off, even in the beginning of my treatment.

How did you notice that women react differently?
It is known that women have other issues than men when they have strokes, seisures or migrane. Why can’t it be the same with PD? Being a neurologist, I see many patients every day. Most men said, they don`’t feel the side effects of the medication that much, but have more physical constraints. Women react more to the emotional side effects and have a stronger tendancy to develop Dyskinesia because of an overdose. This means that they are more sensitive to the doses of their medication. So as a doctor, you need to look more at the person and his/her status of his/her progression of PD.

Right now there are more and more women’s PD groups popping up in the US. What is their purpose?
Yes, it has become a movement. Women notice that their situation with PD is different to men’s, so they set up support groups for women with PD. In the US, women are the main care-givers, which puts them in a different situation than men with PD. Also their men tend to leave them at some point. So these groups help them set up friendships with other women, who are in the same situation and they can build each other up.

I have one personal question: Where on earth do you fond so much energy that keeps you going?
Yes, that is a good question. I am quite hubbly-bubbly at times. Having strong faith and knowing that I am not alone keeps me going. Also, I had to reflect on my situation more after the diagnosis and ask: “What am I going to do with myself?” I couldn’t be a doctor, so now what? Become a housewife? I don’t like doing housework! So I was forced to reinvent myself. Change the title, but who I am. I am still me, but differently. This liberating feeling gives me the energy. 

Last question: How do you explain PD to people who have never heard of it?

I still hear people saying: “Oh, you have Alzheimer’s” and I answer “No, I have Parkinson’s”. They answer back “So it’s Alzheimer’s”, and I say “No, it’s Parkinson’s”. This type of conversation could go on and on and on. Parkinson’s is a brain disease that affects the movement, the thinking and the memory. We can’t do small things anymore, like putting the key in a door. It’s because of the lack of Dopamine, which is the substance that keeps you happy and gives you the feeling when you are in love.

We end the interview with these beautiful words. Many thanks Maria, for lending me your your time. Who knows, there might be some women's groups popping up in Germany soon.