Kerstin Davidsen ist eine waschechte Hamburger Deern. Frisch wie der Nordwind und gar nicht auf den Mund gefallen. Die 52 jährige Autorin hat sich einen positiven Umgang mit dem Parkinson erarbeitet. Und das trotz der vielen Steine, die sich ihr in den Weg legten. Ich traf Kerstin das erste Mal beim ersten Hamburger JuPeinander und war fasziniert von ihrer positiven Ausstrahlung. Auf ihrer Webseite „Kerstin‘s … ganz einfach!“ schreibt sie, „…dass es ein Leben nach der Diagnose Parkinson gibt. Ein schönes Leben sogar.“

Für das Interview machen wir es uns in einer Eisdiele gemütlich, während draußen der Sommerregen tobt. 







Hallo Kerstin, ich finde es toll, dass du dir Zeit für dieses Interview genommen hast. Lasst uns direkt mit der ersten Frage beginnen: Wie startest du einen ganz normalen Tag?
Um 5:30 Uhr geht der Wecker und dann nehme ich die erste Tablette. Ich bin seit fast einem Jahr arbeitsunfähig, deshalb ist es wichtig für mich einen festen Tagesrhythmus zu haben, sonst verschiebt sich alles und kommt durcheinander. Ich bleibe also eine Weile im Bett liegen, bis die Tablette wirkt. Mein Körper ist über Nacht steif geworden und wird von den Medikamenten wieder geschmeidiger.  Allerdings werde ich von ihnen auch sehr müde, da kann es passieren, dass ich mir einen Kaffee mache, mir die Nachrichten ansehe und mich dann wieder kurz hinlege. Spätestens um 9:30 bin ich dann aber endgültig fit für den Tag.

Du bist schon sehr früh an Parkinson erkrankt. Wie war es für dich, als du davon erfahren hast?
Ich kann mich sehr genau an den Tag erinnern, an dem ich diagnostiziert wurde. Es war ein schöner sonniger Tag im September 2011. Ich bin zusammen mit meiner Mutter und meiner Schwester in die Klinik gefahren, wo ein DaTSCAN gemacht werden sollte. DaTSCAN ist die einzige Methode, um Parkinson verlässlich feststellen zu können. Dafür musste ich erst ein radioaktives Mittel einnehmen und dann drei Stunden warten, bis der Scan des Kopfes gemacht werden konnte. In den drei Stunden habe ich mit meiner Mutter und meiner Schwester einen Spaziergang durch die Stadt gemacht, wir haben uns ein Eis gegönnt und sind mit dem Highflyer gefahren – trotz Höhenangst!

Nach dem DaTSCAN sagte der Arzt „Glückwunsch, Sie haben allen Grund dazu, dass Sie Zittern.“ Punkt. Mehr nicht. Er schaffte es tatsächlich, mir die Bilder aus dem Scan zu erläutern, ohne das Wort „Parkinson“ in dem Mund zu nehmen. Er drückte mir den verschlossenen Umschlag mit dem Bericht für die Neurologin in die Hand und entließ mich mit den Worten, mein Arzt könne mir jetzt gegen das Zittern Medikamente verschreiben. Im Fahrstuhl öffnete ich den Umschlag und las: „Befund passend zu Morbus Parkinson.“ 

Meine Mutter wartete draußen und fragte mich, was los ist. Ich konnte es ihr nicht sagen. Wir fuhren schweigend nach Hause. Erst dort war ich in der Lage zu sagen, dass ich Parkinson habe: „Das Kind hat jetzt einen Namen, das reicht mir." 

Ich hatte Glück und wurde nicht depressiv. Stattdessen begann ich ganz viel über Parkinson zu lesen und mich darüber schlau zu machen. Diesen Tag im September werde ich aber nie vergessen. Meine Parkinson Diagnose ist jetzt in meiner Erinnerung ganz eng mit der schönen Zeit mit meiner Mutter und Schwester im Highflyer verbunden.

Es ist schön, dass du die Diagnose mit etwas Positivem verbinden kannst. Wenn du jetzt mal auf die letzten vier Jahre zurück blickst, wie hat Parkinson dein Leben bis jetzt verändert (positiv wie negativ)?
Man lebt bewusster und ist eher bereit sich etwas zu gönnen. Ich habe gelernt, nichts auf die lange Bank zu schieben und den Augenblick zu genießen. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass ich die Insel Gomera kennengelernt habe. Mein Mann hatte mir vor der Diagnose versprochen, wenn sich aus dem Termin etwas Schlimmes ergibt, wird er mit mir eine Reise an einen Ort meiner Wahl wahr machen. Seitdem waren wir schon fünf Mal auf Gomera. 

Die negativen Auswirkungen: Die vielen Tabletten, und dass ich nicht mehr arbeiten kann. Mich ärgern vor Allem die körperlichen Einschränkungen, die mit Morbus Parkinson einhergehen. Es ärgert mich, dass ich deswegen vieles nicht mehr so machen kann, wie ich möchte.

Ich habe durch den Parkinson mit Zeichnen und Schreiben angefangen. Bis heute sind schon fünf Bücher von mir erschienen. Gedichte zum Beispiel, und meine Lebensgeschichte. Wegen Parkinson stand meine Ehe auf der Kippe. Mein Mann hatte Schwierigkeiten, mit den Veränderungen klar zu kommen und wir machten eine Paartherapie. Der Therapeut riet mir, meine Lebensgeschichte aufzuschreiben und das habe ich dann auch gemacht. Innerhalb von drei Monaten war es veröffentlicht. Das Buch hat mir sehr geholfen meine Kindheit aufzuarbeiten, mein Verhältnis zur Familie, den Alkoholismus und die damit einhergehende Gewalttätigkeit meines Vaters.

Wie gehst du mit dem Wissen um, dass Parkinson nicht heilbar ist?
Das Bewusstsein, dass ich bis zum Lebensende mit dieser Erkrankung leben muss, stellte sich erst später ein. Man muss sich das immer wieder vor Augen halten: Bis zum Lebensende! Da gibt es kein hätte, wäre, wenn. Ich denke dabei oft an das Lied von Ina Deter: „Ein neues Gefühl“, vor allem an die Liedzeile „Ich lebe mit diesem Gefühl, mir vom Leben zu nehmen, und habe schon viel zu lang gebraucht, mich deshalb nicht mehr zu schämen.“ Das trifft die Situation sehr gut. Ich lebe mein Leben jetzt bewusster und egoistischer. Durch Parkinson als chronische Erkrankung stellt sich ein neues Lebensgefühl ein. Man lernt die Gesundheit erst zu schätzen, wenn man sie nicht mehr hat.

Fühlst du dich vom Gesundheitssystem verstanden und ausreichend unterstützt? Was könnte besser laufen?
Von meiner Neurologin fühle ich mich verstanden und sehr gut unterstützt. Mit der Krankenkasse und der Rentenversicherung bin ich aber sehr unzufrieden. Man bekommt zum Beispiel grundsätzlich nur eine befristete Erwerbsminderungsrente, trotz chronischer Erkrankung, die ja nicht aufhört. Das heißt ich muss, wenn mir meine EM-Rente bewilligt wird, im günstigsten Fall alle drei Jahre, einen neuen Antrag stellen, bis die EM-Rente dann nach 9 Jahren unbefristet genehmigt wird. 

Die Unterstützung der zuständigen Stellen ist auch zu kurz gedacht. Zum Beispiel wenn es um die Hilfsmittel geht. Da wird ein Stuhl für den Arbeitsplatz finanziert, aber keiner für Zuhause, den muss man selber kaufen. Dabei ist gerade im privaten Bereich Unterstützung notwendig. Es wird auch keine gezielte soziale und gesundheitliche Beratung angeboten - die Patienten werden mit ihrer Erkrankung allein gelassen. 

Es wäre zum Beispiel gut, wenn nach der Diagnose den Patienten automatisch eine psychologische Beratung zur Seite gestellt würde. Das gilt übrigens für alle chronisch Erkrankten. Die Formulare der Versicherungen sind schlimmer als die Steuererklärung! Das ist für jemanden, der mit seiner neuen Situation erstmal klar kommen muss, eine große Herausforderung. Viele Leute bleiben dabei auf der Strecke, sie kommen mit dem unübersichtlichen System nicht zurecht. Man muss auch lange suchen, bis man herausfindet worauf man Anspruch hat.

Parkinson ist übrigens nicht nur die zweithäufigste neurologische Erkrankung, sondern auch die am besten behandelbare. Eine verlässliche Diagnose ist ohne DatSCAN gar nicht möglich. Viele Ärzte schrecken aber scheinbar vor den hohen Kosten zurück und doktern lieber ins Blaue. Deshalb ist es wichtig, einen Spezialisten für Parkinson zu haben. Der kann dann gezielt per Ausschlussverfahren und den Ergebnissen des DatScan vorgehen.

Im Vergleich zu anderen Ländern wird in der deutschen Öffentlichkeit kaum über Parkinson gesprochen. Wie macht sich das im Alltag bemerkbar?
Im Augenblick gibt es immer wieder mal in den Medien etwas zu Parkinson, es wird aber nur von den Leuten wahrgenommen, die dafür sensibilisiert sind. Es liegt wahrscheinlich auch daran, dass in Deutschland, vergleichbar mit anderen Erkrankungen, nur wenige Menschen an Parkinson leiden, andere Erkrankungen wie zum Beispiel Krebs, sind darum vielleicht auch häufiger in den Medien anzutreffen. Aber, genau genommen ist das relativ: Wenn ich mich zum Beispiel hier in der Eisdiele umschaue, sehe ich, dass 25% der Leute Parkinson haben (zwinkert). 

In anderen Ländern ist die Aufmerksamkeit auf Parkinson größer. Dort legt man evtl. auch mehr Wert auf Wohltätigkeitsveranstaltungen. Wie uninformiert die Leute sind, zeigt sich auch im Alltag. Zum Beispiel wissen sie nicht wie sie reagieren sollen, wenn ich ihnen sage, dass ich Parkinson habe. Meistens löst das Bestürzung aus. Schon gehört: „Oh mein Gott, daran stirbst du ganz elendig ...!“ Oder in Situationen, wo ich mich nicht richtig bewegen kann denken einige Leute, dass ich alkoholkrank bin. Dafür habe ich jetzt die praktische Karte von Jung und Parkinson, die ich immer bei mir trage und in solchen Situationen vorzeigen kann. Darauf steht: "Ich bin an Parkinson erkrankt - Bitte haben Sie Verständnis" Kürzlich habe ich einen jungen Mann im Rollstuhl getroffen, der mich fragte was mit mir los ist. Seine Reaktion auf meine Antwort, ich hätte Parkinson, war: „Ach ja, das sind die Leute deren Gehirn sich langsam auflöst!“
Er wünschte mir viel Glück für mein weiteres Leben. Ich frage mich immer noch, wer das nötiger hat...

Wo wir gerade bei dem Thema sind, kann ich gleich mit der nächsten Frage anschließen: Wie erklärst du die Erkrankung jemandem, der noch nie davon gehört hat?
Gute Frage. Wenn ich anfange über Dopamintransmitter und Botenstoffe zu reden, versteht mich niemand. Deshalb würde ich es eher kindgerecht und in Bildern erklären. Zum Beispiel mit einem Nudeltransport: Der LKW, der Nudeln von A nach B transportiert, ist auf der Strecke geblieben und die Nudeln kommen nicht mehr dort an, wo sie hin sollen. Auf das Gehirn übertragen bedeutet es, dass dann der Bewegungsapparat nicht mehr richtig funktioniert. Und weil alle unterschiedlich viele Nudeln benötigen und verzehren wollen, erklärt das auch, warum die Symptome bei jedem Parkinsonerkrankten unterschiedlich ausgeprägt sind.

Vielen lieben Dank Kerstin, das war meine letzte Frage. Möchtest du noch etwas Wichtiges loswerden, bevor wir das Interview abschließen?
Ja, da wäre noch etwas, dass mir sehr am Herzen liegt. Eine Botschaft an alle Leute mit Parkinson. Ich hatte Parkinson lange bevor ich 40 Jahre alt wurde. 20 Jahre lang quälte ich mich mit den Symptomen herum, ohne zu wissen was los ist.

Deshalb mein Rat:
Hört mehr auf euren Körper. Bis mir bewusst war, dass etwas mit mir nicht stimmt, sind drei Jahre vergangen. In der Zeit habe ich meine Unzulänglichkeit immer auf andere Dinge geschoben.

Ihr braucht euch nicht zu schämen. Man lebt viel besser, wenn man offen mit seiner chronischen Erkrankung umgeht.

Akzeptiert, was mit euch los ist. Wenn es euch schlecht geht, dann ist das so. Am nächsten Tag geht es euch vielleicht wieder besser.

Und bloß nicht nur auf die Heilung warten, sondern lieber zwischenzeitlich leben!

Nehmt eure Angehörigen mit. Die Angehörigen werden in der Regel zu wenig eingebunden. Sie müssen aber mitgenommen werden, damit sie die Symptome erkennen und verstehen. Dann können sie Verhaltensänderungen, wie durchwachte Nächte, akzeptieren und besser damit umgehen. 

Was für ein schöner Abschluss für dieses Gespräch. In der Eisdiele werden schon die Stühle hoch gestellt, ein deutliches Zeichen jetzt den Notizblock einzupacken. Liebe Kerstin, vielen lieben Dank, dass du mir etwas Zeit geschenkt hast. Es hat mir großen Spaß gemacht mit dir zu sprechen.