20 Jahre Parkinson und noch topfit. So habe ich Ulli Niemsch vor zwei Jahren kennengelernt. Agil und mobil ist er auch. Solange er nicht im OFF steckt. Was treibt ihn an, wie hat er es geschafft, positiv zu bleiben? Ich freue mich, dass er sich zu einem Interview bereit erklärt hat. Und wie ihr sehen werdet, hat er seinen ganz eigenen sympathischen (Ulli) Kopf!





Ulli, wie fängt ein ganz normaler Tag für dich an?
Ich wache normalerweise um 6:00 Uhr auf und nehme sofort meine Medikamente, denn sonst kann ich mich nicht bewegen und komme nicht aus dem Bett raus. Es dauert bis zu einer Stunde, bis sie dann anfangen richtig zu wirken. In der Zeit werfe ich einen Blick ins Internet und Facebook und schaue, was in den Selbsthilfegruppen und den Parkinson Vereinen los ist. Manchmal schreibe ich auch Briefe und beantworte Anfragen nach meinen Erfahrungen.

Du bist ja schon eine ganze Weile mit dem Parkinson unterwegs. Bist du schon immer so offen damit umgegangen?
Ja, ich bin von Anfang an offen damit umgegangen. Ich war ja auch mit anderen, „wichtigeren“ Dingen beschäftigt. Mein Lebenspartner hatte eine unheilbare und sehr schwere Nervenkrankheit, ich habe ihn 10 Jahre lang gepflegt. Als die Diagnose Parkinson kam, schien sie in dem Moment längst nicht so schwer zu sein, verglichen mit der Erkrankung meines Partners. Als der Arzt sagte „Sie haben Parkinson“, dachte ich nur „Ja, ja, gut. Sonst noch was?“ Parkinson ist ja nicht tödlich. So habe ich damals gedacht.  Inzwischen ist mein Partner verstorben und der Parkinson sehr viel stärker ausgeprägt als damals.

Du lebst ja jetzt alleine, wie bewältigst du den Alltag?
Es ist natürlich schwerer als vorher - am Anfang. Heute, 20 Jahre nach der Diagnose greift die Symptomatik voll durch. Zum Glück habe ich noch den Treppenlift, den sich mein Partner in unser gemeinsames Haus hat einbauen lassen.
Ganz wichtig ist ein intaktes und starkes soziales Netz. Meine Nachbarn haben ein Auge auf mich, auch meine Freunde und meine Kusine. Ich stürze sehr oft, da muss ich sehr aufpassen. Dann kommen sie zur Hilfe. Und sie erinnern mich daran, meine Tabletten pünktlich und regelmäßig zu nehmen. Ich muss ja auch mit den Mahlzeiten aufpassen, denn Eiweiß hemmt die Wirkung der Tabletten. Das heißt, ich muss eine halbe Stunde mit dem Essen warten. Dabei sind Nachbarn und Freunde auch eine sehr große Hilfe. Dieses Netzwerk aufrechtzuerhalten ist deshalb für mich sehr wichtig. Aber ich bin ja ein sehr kontaktfreudiger Mensch, das fällt mir gar nicht schwer.

Hat deine Homosexualität Auswirkungen auf deinen Umgang mit Parkinson? Fühlst du dich dadurch doppelt belastet?
Nein, überhaupt nicht. Da gibt es keinen Unterschied. Ich hätte generell gerne mehr Austausch mit anderen Schwulen. Leider gibt es keine Behindertengruppen für Schwule.  Auch einen Partner zu finden, ist sehr schwer. Sobald die Leute hören, du hast eine schwere chronische Krankheit, haben sie gleich kein Interesse mehr. Das ist ja bei den Heteros nicht anders. 

Kommen wir zur Bewegung: Du hast mit dem Dirigieren für dich einen Weg gefunden, in der Bewegung zu bleiben. Warum gerade dirigieren?
Ich mag klassische Musik und Opern sehr gerne. Als Kind habe ich schon gerne Dirigent gespielt. Später als Student habe ich gelernt Partituren zu lesen. Dann habe ich Kopfhörer aufgesetzt und ganze Partituren verfolgt. Jetzt hilft mir das Dirigieren beim Parkinson sehr. Es wird alles gefordert: Durch die Bewegung wird die Muskulatur gestärkt, es ist gut für die gerade Haltung. Und der Kopf wird auch gefordert, durch das mitlesen der Noten. Die Psyche natürlich auch, denn Musik macht glücklich.

Ich habe eine Frage zu deiner Mobilität. Du bist ja in der ganzen Republik unterwegs, jetzt sogar fast wöchentlich in Hamburg. Gibt dir das viele Reisen Kraft?
Ja, das Reisen gibt mir Anregung und Kraft. Ich werde oft von Gruppen und Vereinen eingeladen, etwas über meine Erfahrungen und meinen Umgang mit Parkinson zu erzählen. Denn ich habe ein positives Lebensgefühl und die Leute fragen mich wie ich das mache. Als Antwort habe ich ein paar Lebensweisheiten auf Lager, wie: „Vorfreude ist die beste Freude“ oder „Stress kannste nicht brauchen“. Die Leute müssen lernen den Parkinson anzunehmen, denn diesen Kampf kannst du nur verlieren. Also bleibt nur, damit zu leben und das Beste daraus zu machen. Das ist meine Devise. Was das angeht, hat mich mein Mann damals inspiriert. Er sagte: „Mit Parkinson kannst du lange leben, nur wie – das liegt allein in deiner Hand.“

Was wünschst du dir von der Parkinsongemeinschaft?
Es wäre schön, wenn es mehr Leute gäbe, die positiv mit der Krankheit leben. Ich kenne sehr viele, die aufgegeben haben und sich von ihren Angehörigen bevormunden lassen. Deshalb sind aktive Selbsthilfegruppen so wichtig. Da kann man über Dinge reden, die von jedem verstanden werden und nicht noch lange erklärt werden müssen. Gerade den Leuten, die am Anfang ihrer Erkrankung stehen, rate ich, in Selbsthilfegruppen zu gehen und dort Kontakte aufzubauen - als Vorbereitung auf später, wenn man nicht mehr so mobil sein kann. Dein Körper sagt dir schon wo die Grenze ist. Du musst nur lernen auf ihn zu hören.

Ulli, meine letzte Frage: Wie erklärst du jemandem den Parkinson, der noch nie davon gehört hat?

Ich mach das ganz fachlich: Parkinson ist eine Muskel-Nervenkrankheit, weil das Zwischenhirn kein Dopamin mehr produziert, der dafür zuständig ist die Muskeln zur Bewegung anzuregen. Da es den ganzen Menschen beeinflusst, also nicht nur die Bewegung, sondern auch die Psyche, muss jemand mit Parkinson seine ganze Lebensart daran anpassen. Und es ist wichtig, dass die Angehörigen ihn auffangen, wenn es ihm schlecht geht. Wichtig ist die Disziplin bei der Medikamenteneinnahme zu halten. Und gute Ärzte sind wichtig, die gut einschätzen können, welche Medikamente dir am besten helfen könnten. Aber das allerwichtigste ist, Hilfsmittel, Erlebnisse und Menschen zu suchen, die dir gut tun. 

Lieben Dank für das Interview Ulli!